Salta

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Nun bin ich also mal wieder in Salta, zum vierten Mal. Kurz 1992 als Tourist, 1993 fuer einige Monate quasi als Einheimischer, 2005 einige Tage zu Besuch und nun wieder – versuchend an alte Spuren anzuknuepfen.

Gerade die letzten 10 Jahre hat sich enorm viel veraendert. 2005 waren noch die Auswirkungen der schweren Wirtschaftskrise zu spueren, der Wohlstand beschraenkte sich auf wenige und alles war (fuer Europaer) spottbillig.

Mittlerweile hat sich die Wirtschaft zumindest innnerhalb des Landes stabilisiert, auch wenn auslaendische Investoren und Glaeubiger nicht so viel Vertrauen hatten, nachdem Schulden nicht zurueck gezahlt wurden und private Betriebe ueber Nacht ohne Entschaedigung verstaatlicht wurden.

Letztes Wochenende waren Wahlen und ab 10. Dezember tritt ein neuer Praesident an. Alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sind froh, dass die Peronisten abgewaehlt wurden. Diese Linksregierung schreibt sich soziales Engagement auf die Fahnen, aber tatsaechlich findet viel Korruption, Manipulation und Postengeschacher statt. Der neue Praesident verspricht, dass die Posten nach Expertenwissen und nicht nach Parteibuch besetzt werden sollen – und hat damit viele Argentinier ueberzeugt.

Ich bin mal gespannt ob ich die naechsten Monate, waehrend meiner Zeit in Argentinien, schon erste Auswirkungen mitbekomme..

Das auffaelligste, was sich die letzten 10 Jahre veraendert hat ist der Autoverkehr. Jeder scheint mittlerweile ein Auto zu haben, die meisten sind sogar recht neu. Die meisten kommen aus argentinischer oder brasilianischer Produktion (Renault, Peugeot, Volkswagen), aber man sieht auch etliche Audis und BMW’s.

Die einstige Atmosphaere der Stadt ist damit ziemlich dahin. Ein Schlendern durch die schoenen Strassen mit ansprechender Kolonialarchitektur erstickt im Laerm und Autos stauen sich und verpesten die Luft. Lediglich die Plaza und die Fussgaengerzone laden noch zum Flanieren ein. Am Haus meiner frueheren Gastfamilie, wo ich derzeit wohnen kann, tost der Verkehr Tag und Nacht vorbei, so dass ich Ohrenstoepsel brauche um schlafen zu koennen. Die Folge ist, dass die viele in die ruhigeren Vororte oder aufs Land hinaus ziehen und in die Stadt hinein pendeln, was natuerlich noch mehr Verkehr verursacht.

Das Preisniveau ist den letzten Jahren deutlich angestiegen. Vor 10 Jahren war es noch bei 10-20 % des europaeischen Levels, mittlerweile sind wir bei ca. 50 %.

Das Asado bei David zu seinem Geburtstag war vorzueglich und es war schoen ihn wieder zu sehen. Ich glaube er hat sich auch gefreut. Aber irgendwie sind wir ueber smalltalk nicht hinaus gekommen.

Mit seiner Mutter, bei der ich gerade wohne, hatte ich viel intensivere Gespraeche und ich fuehle mich sehr herzlich aufgenommen. Es ist schoen, dass ich bei ihr wohnen kann.

Alfonsina, eine der Toechter, habe ich auf dem Lande besucht, wo sie mit Mann und zwei Kindern wohnt. Das war ein netter Nachmittag und die Kinder waren nach anfaenglichem Zoegern dann auch freudig zugewandt. Besonders Sofie, die dreijaehrige begruesste mich schnell freudig, waehrend Franko, der sechsjaehrige Bruder etwas laenger brauchte und erst mal scheues Verstecken spielte. Ich habe ihnen meine Hängematte aus dem Dschungel geschenkt und mich gefreut, dass sie Spass damit haben:

 

Alfonsina erzaehlte mir dann noch einige Details von den Streitigkeiten zwischen den Geschwistern, was alles sehr unerfreulich ist. Ich hoffe, dass das in meiner Familie nie passiert, dass wir wegen Geld und Erbschaftsdingen nicht mehr miteinander reden und die Anwaelte aufeinander hetzen.

Vorgestern habe ich nochmal am Biodanza teilgenommen: Gruppenabschluss vor der Sommerpause. Erst Ende Februar wird es weiter gehen. Das war nett, aber anhaltende Kontakte haben sich nicht ergeben.

Gestern war ich auf dem Hausberg, auf den mittlerweile eine Seilbahn hinauf fuehrt, aber ich bin natuerlich hoch gelaufen, des Trainings wegen – wie viele andere auch. Ober war vom roten Kreuz sogar eine Sportstation aufgebaut, kostenlose Bewegungsanimation mit motivierender Musik…

Abends kamen dann so etliche Leute auf Besuch vorbei. In typisch argentinischer Manier ruft man nicht etwa vorher an und macht Termine aus, sondern man schneit einfach so mal rein. So habe ich gestern abend ein paar Leute kennen gelernt und Alfonsina war auch noch mal mit den Kindern da.

Interessant sind die Essgewohnheiten in Argentinien. Man isst in der Regel 4 Mahlzeiten. Fruehstueck (recht simpel), Mittagessen (wobei die Suppe NACH dem Hauptgang serviert wird), dann gibt es am fruehen Abend Tee und eine Brotzeit und das eigentliche Abendessen findet dann zwischen 22 und 24 Uhr statt, fett, fleischlastig und reichlich… also ideale Voraussetzungen, dass man ueber Nacht so richtig schoen Fett auf den Rippen ansetzen kann…

So langsam spinne ich schon Plaene weiter zu reisen, Richtung Cafayate, Cordoba, Buenos Aires, La Plata, Patagonien…Ich habe Salta wieder gesehen, meine Freunde dort getroffen und gemerkt, dass sich die Stadt nicht unbedingt zu ihrem Vorteil verändert hat. Welches Glück ich damals hatte in dieser Familie so herzlich aufgenommen zu werden und jeden Abend mit einem der „Kinder“ losziehen zu können. Ich fühlte mich wie ein fünftes Kind der Familie. Das ist immer noch so, dass ich mich eng mit dieser Familie verbunden fühle. Aber die Zeiten haben sich geändert, der Zusammenhalt der Familie ist nur noch in Teilen vorhanden. Als ich dann einen Abend alleine los gezogen bin und in einer neuen Vergnügungsmeile so für mich an einem Tisch sass und mein Bier geschlürft habe, da habe ich mir gedacht, ich könnte eigentlich auch schon früher wieder aufbrechen. Am nächsten Tag bringe ich das Thema bei meiner Gastgeberin auf den Tisch und merke an der Reaktion, dass sie sehr enttäuscht wäre, wenn ich schon fahren würde. Es ist schön mich wirklich herzlich willkommen zu fühlen und einen Platz zu haben , an dem ich mich zuhause fühlen kann. Also beschliesse ich noch ein paar Tage zu bleiben. Ich kann ausschlafen (obwohl die Strasse direkt vor meinerm Fenster ist und es sich anfühlt als ob der Verkehr direkt durch Zimer dröhnt  – eigentlich eine schöne, gehobene Gegend der Stadt, aber wie sich der Autoverkehr die letzten 10 Jahre entwickelt hat, würde ich von dort wegziehen, wenn es mein Haus wäre). Ich kann am Computer arbeiten (was ich auch recht ausgiebig tue auf der weiteren Suche nach Online-Arbeitsmöglichkeiten), ich kann mit der Mutter des Hauses lange Gespräche führen, gemeinsam kochen und essen, Wein trinken, Filme anschauen….

Und ich mache ein paar Ausflüge. Alfonina lädt mich nochmal ein zu ihr rauszufahren und ich mache auch ein paar Ausflüge alleine, lese, schreibe, geniesse das schöne sommerliche Wetter, mache sportliche Touren auf den Hausberg.

Einmal fahre ich hinaus nach Campo Quijano zu der Firma, wo ich damals mein Praktikum gemacht hatte. Die Firma gibt es noch, aber offenbar ist es ähnlich wie 1993: Es wird nicht viel in Neues investiert und nur eben das am Laufen gehalten, was existiert. Damals bin ich viel mit dem Produktionsleiter herum gezogen und habe seine täglichen Reparaturen verfolgt. Es erschien mir eher eine Reaktion als ein präventives Vorgehen. Das passt zur argentinischen Mentalität: Nicht viel voraus planen, sondern spontan mit dem Sein was gerade ist. Zuvor war ich einige Monate im Borax-Tagebau auf 4200 m Höhe gewesen, wo ich den Verfeinerungsprozess dieser seltenen Substanz verfogen durfte. Bis es dem Chef dort irgendwann mal spanisch vorkam, dass ich so viele neugierige Fragen stellt und alles im Detail verstehen wollte. Er hielt mich offenbar für einen Spion und versetzte mich die restlichen 3 Wochen in ein anderes Werk, wo es so gut wie nichts zu sehen gab:

Auf meinen Spaziergängen stosse ich auch auf Heldengedenkstätten des Malvinas-Krieges. Die Engländer hatten damals diese 19000 km entfernte Inselgruppe vor Argentinien zurück erorbert, nachdem die argentinische Junta versucht hatte diese zu anektieren. Dieses Portal soll daran erinnern, dass Argentinien ein Stück des Vaterlandes fehlen würde. Die paar Engländer, die dort wohnen, nennen sie Falkland-Islands:

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Durch Campo Quijano fährt auch der berühmte Touristenzug „tren a los nubes“ (Zug in die Wolken), der ab hier hoch in die Anden auf fast 5000 m steigt:

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Meine Stimmung ist oft nicht die Beste. Ich fühle eine ziemliche Antriebsschwäche, mag morgens gar nicht so recht aufstehen, bin träge und sogar etwas depressiv.

Vielleicht hatte ich insgeheim doch gehofft, in Salta wieder nahtlos an alte, gute Zeiten anknüpfen zu können, vielleicht mich dort so heimisch zu fühlen, dass ich gar nicht mehr weg möchte. Aber ich merke, dass das nicht mein Platz zum Leben ist. Vielleicht ist es diese Ent-Täuschung, die mich müde macht. Oder vielleicht ist es auch die freundliche Möglichkeit an einem Platz einfach nichts machen zu müssen und mich dennoch akzeptiert zu fühlen. Oder ich gebe einer Müdigkeit Raum, welche die letzten Wochen des Reises in mir hinterlassen hat…

Wie dem auch sei, ich bin heute weiter gezogen und in Cafayate, 200 km südwestlich angekommen. Ein nettes Dorf, das für seine Arizona-ähnlichen Schluchten, Felsformationen und sehr guten Wein bekannt ist.

 


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