Varanassi

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Während ich gemütlich auf dem Mekong in Laos entlang schippere, komme ich dazu meine Eindrücke der vergangenen Tage zu sortieren.

Die heilige Stadt Varanassi am Ganges hätte ich mir noch quirreliger vorgestellt. Vielleicht bin ich mittlerweile auch schon so sehr in Indien angekommen, dass mich kaum noch was schocken kann.

Abends noch ein Spaziergang an den Ghats entlang (Badestellen), Sadhus, Badende, Betende. Ähnlich Rishikesh….nur der Fluss ist hier wesentlich breiter. Dann komme ich an der ersten Leichenverbrennungsstelle vorbei und der Anblick ist schon etwas seltsam. Derjenige, der das Feuer betreut, wendet gerade eine halbverbrannte Leiche. Die Beine sind schon nicht mehr da und der Oberkörper mit Kopf und Oberarmen wird nochmal richtig ins Feuer geschoben. Ich schaue eine Weile zu mit einer Mischung aus Neugierde und Faszination. Kein Abscheu oder Ekel, es kommt mir eher ganz natürlich vor. Ein Touristenpärchen kommt vorbei und ihr geht es offenbar anders: Sie wird von einem Brechreiz geschüttelt…

Einen Kilometer weiter finde ich eine nette Holzofenpizzeria und merke, dass mir der Appetit nicht vergangen ist. Ich komme ins Gespräch mit einer netten Österreicherin, die auch auf einer längeren Reise ist. Sie ist Lehrerin und erzählt mir davon, dass jüngst die Richtlinien für ein Sabbatical verschärft wurden. Früher konnte man einfach so frei nehmen. Jetzt nur noch, wenn man auch etwas anerkannt sinnvolles mit dieser Zeit anfängt, d.h. eine Fortbildung mit Prüfung und Zertifikat. Sie ist 2 Monate auf Reisen und muss danach zu Hause ranklotzen, um noch die Prüfungen zu schaffen. Das finde ich wirklich zum Kotzen diese Leistungsgesellschaft und diese Bevormundung, wie ein konformes Leben zu führen sei.

Schütte die Leute mit Arbeit zu, wecke Konsumbedürfnisse die nur ziehen, weil die Leute vor lauter Arbeit keine wirklich Befriedigung mehr finden und Ersatzbefriedigung im Konsum suchen, rede ihnen ein, dass sie damit den angeblich wichtigen Motor des Wirtschaftswachstums aufrecht erhalten, gib Ihnen maximal 3 Wochen Urlaub am Stück, damit sie nicht beginnen, über ihre Lebenssitution nachzudenken, sondern nur froh sind über etwas Erholung, kontrolliere ihre Lebensfreude und Sexualität durch moralisch-religiöse Normen, rede ihnen ein, sie müssten immer schneller, effizienter und optimaler leben und arbeiten und schon sind sie gefangen in einer leicht manipulierbaren Masse, die den Interessen der Wirtschafts- und Politikelite dient. Aus etwas Abstand betrachtet ist dieses Spiel ziemlich absurd und es gut die Möglichkeit zu haben sein eigenes, selbstgestaltetes Spiel des Lebens zu spielen und herau zu finden, was einem selber wirklich wichtig ist.

Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten das Leben zu gestalten und nach seinen eigenen Normen zu leben, anstatt kollektive Normen aus seiner Umgebung einfach ungeprüft zu übernehmen. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse beim Reisen: Das es Millionen individuelle Möglichkeiten jenseits von Gut und Böse, bzw. richtig und falsch gibt.

Nach dem Abendessen schlendere ich zurück, nehme an der abendlichen Puja teil, die besonders stimmungsvoll mit vielen Kerzen und Gesängen gestaltet wird und wage mich dann vor zum Hauptverbrennungs-Ghat. Dort werden täglich bis zu 200 Körper verbrannt. Die unterschiedlichen Kasten haben unterschiedliche Feuerstellen und dann wird noch differenziert nach der Holzart, die verwendet wird. Die Armen werden im Krematorium für ca. 7 EUR verbrannt. Die Brahmanenkaste lässt auch schon mal 300 EUR springen.

Ich lasse mir erst mal in einiger Entfernung von den Feuern nieder und atme den Geruch von verbranntem Fleisch ein. Riecht auch nicht viel anders als ein Grillfest…

Jemand kommt auf mich zu und bietet eine Führung an. Er sagt, dass direkt oberhalb des Verbrennungsplatzes zwei Sterbehospize sind in denen er arbeitet. Und wenn es dann soweit ist, dann macht er auch die Verbrennung. Er lädt mich ein ruhig näher zu kommen. Die Familien, die um die Feuer herum stehen, wären „more happy“ wenn mehr Leute zusehen würden. Ich wimmele seine Bitten nach Spenden ab und sitze einfach so für mich da und fühle in das Geschehen hinein. Ich fühle in mir einen Frieden aufsteigen und eine meditative Ruhe. Es wundert mich ein wenig selber, dass ich nicht geschockt bin, aber es breitet sich in mir ein Gefühl aus, wie ich es manchmal an religiösen Kraftorten verspüre.

Ich schaue dann noch zu wie eine ganz „neue“ Leiche zuerst in einen Sari gewickelt wird, dann auf den Scheiterhaufen gelegt wird und wie dieser schliesslich angezündet wird. Nach einer Weile züngeln die Flammen um den Körper herum und es zischt und Saft tropft ins Feuer. Erinnert mich wieder ans Grillen..

Alles keine grosse Sache! Das Verbrennen erscheint mir das beste zu sein, um sich von dem nutzlos gewordenen Körper zu trennen und die Seele dorhin fliegen zu lassen, von wo sie gekommen ist bevor sie inkarnierte. Vielleicht wird sie ja schon bald in einem anderen Körper wiedergeboren und darf von neuem die wunderbare Erfahrung irdischer Existenz machen.

Am folgenden Morgen mache ich dann noch eine Bootsfahrt an all den Stellen vorbei, die ich am Vortag zu Fuss erkundet habe. Dafür stehe ich um 5 Uhr auf und als wir losfahren ist es noch stockdunkel. Ich setze eine blumengeschmückte Kerze mit einem Gebet versehen in die heiligen Fluten und sehe dazu wie es langsam kleiner wird…

Den Rest des Tages bis zur Abfahrt bleibe ich überwiegend auf der Hotelterasse und mache mich dann auf den Weg zum Flughafen. Es stehen drei Flüge an: Varanassi-Kalkutta, Kalkutta-Bangkok, Bangkok-Chiang Rai.


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