Rainbow Gathering

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Das Rainbow-Gathering findet quasi am Ende der Welt statt. Von Westport aus geht eine Stichstrasse noch fast 100 km nach Norden bis nach Karamea. Auf dieser Strasse ist so wenig los, dass ich auf der ganzen Strecke gerade mal 5 anderen Autos begegne. Man grüsst sich per Handzeichen – das ist mir bisher in Neuseeland noch nicht passiert.

Die genaue Wegbeschreibung wird nicht online veröffentlicht. Ich habe jedoch über die geschlossene Facebook-Gruppe (zu der ich glücklicherweise zugelassen wurde, vielleicht weil Mitglieder Freunde von mir kannten) gelesen, dass es in Karamea einen Laden namens „global gypsy“ geben soll, wo eine Skizze im Schaufenster hängen soll. Die Skizze sehe ich nicht, aber die Besitzerin kann mir den Weg beschreiben- und dann sehe ich beim Hinausgehen auch den kleinen handgemalten Zettel im Aushang…

Karamea liegt ja quasi schon am Ende der Welt – neben dem Ortsschild steht „welcome to paradise“, zaber jetzt geht es noch weiter in die Wildnis. Nach einigen Kilometern endet der Asphalt und es geht auf einer gravel road durch den Wald. Als dann eine Furt zu durchqueren ist und der Weg immer schmaler und unebener wird, bin ich froh, dass ich zwei Steinmännchen und ein rainbow-Zeichen sehe. Ich schaffe es durch die Furt zu kommen, ohne dass mein Van irgendwo aufsetzt oder davon schwimmt, muss jedoch auf dem Waldweg ziemlich manövrieren, damit ich nicht aufsetze. Und dann komme ich zu einem Tor, dass mich am Ende der Welt willkommen heisst und mich davor warnt, dass ich jenseits des Tores „rainbows“ begegnen könnte.

Und dann sehe ich den Parkplatz mit buntbemalten Fahrzeugen aller Art, gemischt mit normalen Autos und finde auch noch einen ebenen Platz für meinen Van. In einem umgebauten Truck sitzen 3 langhaarige Jungs und begrüssen mich freundlich mit „welcome home brother“.  Hinter dem Parkplatz ist ein Feuerplatz, der mit einem Tarp geschützt ist und wo das Welome-Team lagert. Weitere Umarmungen, freundliche Augen und „welcome home“-Begrüssungen. Mir werden die basics erklärt: Wo gibt es Quellwasser, wo gibt es Essen und wo ist das „shit-pit“. Mir ist die Rainbow-Philosophie ja nicht ganz neu, weil ich auf einigen Rainbow-ähnlichen Festivals in Europa war und Freunde aus diesem Umfeld habe. Deswegen bleibt es bei einer kurzen Einweisung in den Platz und ich mache mich auf das weitläufige Gelände zu erkunden, dass nach drei Seiten von dicht bewaldeten Bergen umgeben ist durch die ein breiter Fluss fliesst. Das Gelände hat eine Menge ebene Flächen zum zelten und auch freie Flächen für die Versammlungen. Es streckt auf eine Länge von weit über einem Kilometer und es dauert fast 20 Minuten, um vom einen Ende zum anderen zu gelangen. An vielen Stellen gibt es kleine Bäche aus denen man trinken kann.

Überall freundliche Begrüssungen und Umarmungen. In der Nähe des Badeplatzes am Fluss kommt mir eine splitternackte Frau entgegen und auch sie lädt mich zu einer innigen Umarmung ein – es geht hier anscheindend alles recht natürlich und ungezwungen zu. Jeder ist so akzeptiert und willkommen wie er ist und darf sich frei ausleben, so lange er nicht die Freiheit anderer dadurch beeinträchtigt.

Ich fühle mich etwas als Exot unter diesem multikulturellen Haufen von Hippies, aber gleichzeitig auch gut aufgenommen. Die meisten sind zwischen 20 und 30. Kinder und Jugendliche sehe ich nicht und jenseits der 40 sind nur eine Handvoll der knapp 100 Menschen hier vor Ort.

Die nächsten Tage sind ein ziemliches emotionales Auf-und-Ab. Es ist gut unter Menschen zu sein und manchmal fühle ich mich verunden und mittendrin – und manchmal fühle ich mich auch eher aussen vor.

Nach fünf Tagen fühle ich mich als wirklicher Teil des ganzen und sauwohl. Mir macht es Spaß zwischen den verschiedenen Identitäten zu switchen und dadurch verschiedene Seiten in mir auszuleben – den ganzen Spannungsbogen des Regenbogens zwischen deutschem Ingenieur und herumzigeunerndem Hippy. Interessant wie ich von der anfänglichen Gast- und Beobachterrolle immer Teil des Stamms werde.

Ich höre beeindruckende Lebensgeschichten von Leuten, die ohne Geld um die Welt ziehen indem sie draussen schlafen, hitchhiken (auf Autos und Segelbooten), Wildfrüchte sammeln und gelegentlich für Kost- und Logis arbeiten. Totale Konsumverweigerung und einfachste Lebensweise, aber viel glücklicher und liebevoller unterwegs als die meisten normalen Bewohner unserer industriellen Konsumgesellschaften. Ich treffe keinerlei dummen oder einfältigen Menschen, sondern ausschliesslich solche, die sich ganz bewusst und reflektiert andere Lebenskonzepte leben. Welche Intelligenz gepaart mit Kraft, Lebensfreude und weiser Tiefe – und das schon in jungen Jahren. Ich höre kein einziges dümmliches Gespräch über Fussball, Cricket, Tennis oder Autorennen. Es wird nicht über Smartphones und Apps geredet, es wird kein Alkohol getrunken und ich erlebe weder Aggressivität noch dumme Anmache. Es wird wenig geraucht und wenn, dann oft Besseres als Tabak 😉 Gegenseitiger Respekt, Unterstützung, Zuhören, Empathie, Anerkennung, liebevolles Miteinander, Toleranz, Kreativität, Teamgeist. Unter Schlabberklamotten und Dreadlocks treffe ich beeindruckende Persönlichkeiten, die zu intelligent sind, das Spiel von unbefriedigenden, abhängigen Arbeitsverhältnissen zu spielen, um mit dem verdienten Geld Bedürfnisse zu befriedigen, die sie bei erfüllterer Lebensweise gar nicht hätten.

Ich treffe Leute, die die Welt mit Fahrrädern bereisen, unter anderm einen Holländer mit einem selbstgebauten Liegerad – genial einfache Konstruktion aus zwei normalen Fahrrädern zusammen geschweisst. Es werden Erfahrungen unter Reiseradlern ausgetauscht, sowie allgemein zu nachhaltigem Reisen.

Ein 19 jähriger, der mir erst etwas träge unter seinem grossen lila Schlapphut erschienen ist, entpuppt sich als hochspiritueller Mensch, der durch seine Präsenz, die richtigen Worte sowie der Musik seiner Flöte eine Gruppe von 100 Menschen in tiefe Meditation führen kann. Und abends am Feuer trägt er aus dem Stegreif Gedichte als Rap vor – einfach so, ohne irgendwas abzulesen…

Es ist gelebte Anarchie ohne für mich erkennbare Hierarchien – und es scheint zu funktionieren, weil die gemeinsamen Werte und die Selbstverantwortung tragfähig sind. Und das bei sovielen verschiedenen Nationalitäten: Neuseeland, Deutschland, Australien, Frankreich, Italien, Spanien, Rumänien, Brasilien, Dänemark, Schweden, Tschechien, Östereich, Schweiz, Israel, Japan, USA, Kanada, Chile, Indien, Costa Rica, Argentinien, … um mal nur die zu nennen mit denen ich persönlichen Kontakt hatte.. (ja es gibt auch ein paar deutsche Abiturienten, aber nicht so dominant und gleichzeitig abgeschottet wie sonst in Neuseeland. Auffällig ist, das wir als Deutsche meist auch untereinander in Englisch kommunizieren, damit sich jeder jederzeit einklinken kann. Es sei denn man ist mal wirklich in einer privaten Rückzugssphäre)

Zweimal täglich gibt es „food circles“, nachdem Freiwillige zuvor für alle Essen bereitet haben. Alle stehen im Kreis, halten die Hände der Nachbarn und jeder kann ein Lied anstimmen, dass dann von allen mitgesungen wird. Es gibt viele Musiker im Kreis und eine ganze Reihe spezieller Rainbow-Songs, die mir noch lange als Ohrwürmer in Erinnerung bleiben werden. Hier eine kleine Auswahl:

 

Zum Schluss gibt es ein gemeinsames Gebet und eine Segnung des Essens und im Anschluss ans Essen kann jeder in die Mitte treten und Ankündigungen machen. Sieht jemand, dass jemand sprechen möchte, so wird laut „focus!“ gerufen und innerhal von Sekunden ist die volle Aufmerksamkeit bei der Person in der Mitte. Jeder kann zu Workshops einladen (obwohl der Begriff zu „playshares“ umgetauft wird, da weder work als auch shop im klassischen Sinne so positiv belegt sind). Es gibt Männer- und Frauenkreise, eine Councilrunde zum Thema Polyamory die sehr offen und berührend geführt wird, einen Massage-playshare, unzählige Musik-Jam-Sessions und Lagerfeuergesänge, ein über Tage andauerndes monkey-peanut-Spiel (jeder hat beide Rollen inne und die monkeys haben die Aufgabe den peanuts das Leben zu versüssen ohne vorzeitig selbst erkannt zu werden. Denn weiss der peanut, wer sein monkey ist, dann kann er sich alles wünchen…..),  nachhaltiges Reisen, intentional communities, neue crystal-land-projects (permanente Rainbow-Siedlungen. Auf Fiji ist solch ein Projekt am Entstehen – darüber wurde viel geredet und „zufälligerweise“ ist Fiji mein nächstes Ziel….., ein Tag ohne Sprechen (d.h. mit Körper und Lautsprache (ein tolles Erlebnis!).

Anschliessend ans Essen geht ein magic hat herum, um Geld für die Essensausgaben zu sammeln. Die meisten haben kein Geld hineinzugeben, sondern nur gehauchte Küsse, aber die Magie ist, dass es doch anscheinend irgendwie reicht… Begleitet wird der magic hat von Leuten, die einen speziellen Song singen und anderen die dazu tanzen… Sehr einladend! Die Melodie wird noch lang wie ein Ohrwurm in mir weiterleben:

Höhepunkt ist die Fullmoon-Celebration am 05. März. Ein besonderer Tag, an dem wir fast 130 Menschen am Platz sind. Nach dem Mittags-Food-Circle ziehen über 100 Menschen zum nahen Fluss zu einem gemeinsamen Bad. Ein herrlicher Anblick an diesem warmen Spätsommertag, wie sich alle ohne Scham ausziehen und in das glasklare Flusswasser stürzen, sich in der Strömung treiben lassen, auf Felsen ausruhen, toben, singen, meditieren…In der Nähe gibt es wunderbare Schlammquellen und ich bin begeistert mit dabei, als sich einige von oben bis unten damit einschmieren und dann als archaische Schlammmonster unter Urlauten wieder zu den anderen stossen. (Komisch nur dass die anderen sich gar nicht umarmen lassen wollen…) Ich fühle mich wunderbar in meiner zweiten Haut, die so langsam als Kruste in der Sonne auftrocknet. Welch ein unmittelbarer Kontakt und Einswerden mit der Natur und den Elementen (Wasser durch den Fluss, Erde durch den Schlamm, Feuer durch die intensive Sonne und Luft durch das Lüftchen, das durch das Tal streicht).

Einige verbringen den Rest des Tages im Schlammkostüm, aber ich entschliesse mich doch nochmal zu baden und die Erde im kalten Wasser abzuwaschen, bevor ich wieder zum zentralen Platz gehe.

Ich bin durch dieses Erlebnis energetisiert und fühle mich sehr kraftvoll und geerdet und habe ein sehr breites Grinsen im Gesicht, dass ich an diesem Tag mit vielen teilen darf.

Dann gilt es den heiligen Platz mit den Kräften der Elemten aufzuladen und ich schliesse mich einer Gruppe an, die sich meditierend, schreibend, austauschend und gestaltend diesem Thema nähert. Der Joint zu dem ich kurz zuvor eingeladen wurde, bewirkt in mir genau die richtige Einstimmung dafür: Nicht abgekapselt in meiner bubble, sondern eher öffnend und leicht schwebend. Allerdings bekomme ich dann nach den ersten zwei Elementen eine Heisshunger-Attacke (die wiederum mit dem Gras zu tun haben könnte) und klinke mich erst mal zum Essen aus.

Nach dem abendlichen Foodcircle gibt es ein besonders grosses Feuer und es wird stundenlang getrommelt und die Tänze dazu bringen mich ein wenig in Trance. Und dann gibt es noch eine Kakao-Zeremonie, bei der ein Trunk aus sehr reinem, konzentriertem Kakao zu sich genommen wird. Ich hatte dies vor ein paar Monaten bereits schon mal in Delhi genossen und damals war die Erfahrung sehr herzöffnend und verbindend. Aber diesmal bleibt diese Wirkung weitgehend aus – nicht nur bei mir. Im Gegenteil: Ich falle plötzlich aus dem eingebundenen Gemeinschaftsgefühl heraus, als die Leute, mit denen ich sonst näheren Kontakt hatte ausser Sicht geraten und ich bei den ums Feuer enstehenden Kuschelhaufen auch nicht so richtig andocken kann. Ich gehe dann recht traurig gegen 3 Uhr morgens schlafen – der Vollmond steht leuchtend hell am Himmel. Was für ein voller Tag, den ich hier mal exemplarisch beschrieben habe, vielleicht der Höhe- und Wendepunkt des gatherings. (ja ich weiss, dass ich bisweilen ein furchbares denglisch schreibe. Gehörst du auch zu den Leuten, die beim Begriff „brathering“ erst mal lange nachdenken, was damit gemeint sein könnte, bevor sie merken, dass es ein deutsches Wort ist…). Sehr intensives Erleben und Fühlen mit allen Ups and Downs. Aber ich bin sehr froh wieder zu fühlen, nachdem ich zuvor durch das lange Alleinsein schon fast so etwas wie in eine depressive Erstarrung gefallen war.

In der Nacht schlägt das Wetter um und es regnet in Strömen. Bin ich froh, dass ich nicht zelten muss, sondern es schön warm und trocken in meinem Van habe!

Der nächste Tag fühlt sich nach Neubeginn an. Es fühlt sich wie ein Neujahrstag an – seltsam, aber ich kann es nicht anders ausdrücken als als Analogie und Silvester und Neujahr.

Meine sozialen Kontakte sind zunächst ziemlich wechselhaft. Die esten Tage war ich oft mit einer netten Spanierin zusammen – dann gibt es eine Phase, wo ich viele Leute kennen lerne und viele kürzere, aber trotzdem intensive Gespräche führe und dann kristallisieren sich zwei Menschen heraus, die für mich sehr besonders und wichtig werden. Mein Nachbar, der mit seinem Van neben meinem parkt. Wir spannen an „Neujahr“ ein Tarp zwischen unseren Fahrzeugen und kreieren eine gemütliche, trockene Sitzecke – wo wir viele gute Gespräche führen, zudenen auch immer wieder andere dazu stossen. Ein kleiner Kristallisationspunkt, was mir besonders gut tut, da ich sonst nur zum Schlafen oder Dinge holen an meinem Van war. Und die zweite Person ist eine Frau, wo gleich zu Beginn eine seltsame Vertrautheit zwischen uns spürbar ist – so als ob wir uns schon kennen würden, aber wir stellen fest, dass das nicht sein kann. Mit ihr mache ich abenteuerliche Wanderungen, Ausflüge in den Ort und zum Meeresstrand und wir haben viele gute Gespräche. Einmal, nach einem gemütlichen, kalten und verregneten Filmabend in meinem Van übernachtet sie sogar bei mir. Ausser ein bischen Kuscheln passiert nichts weiter, aber mir tut es unheimlich gut mal wieder die Wärme und das Atmen eines lieben Menschen neben mir zu spüren und morgens gemeinsam „im Bett“ zu frühstücken…. Beide (mein Nachbar und diese Frau) sind Jahrgang 1984 – fast 20 Jahre jünger als ich, was mir eher daran auffällt, wenn ich mir vergegenwärtige dass sie noch Babies waren, als ich bereits Abitur gemacht habe, als dass ich einen nennenswerten Generationsunterschied feststellen würde. Lediglich ein 19 Jähriger Deutscher sagt mir mal, dass ich ihn sehr an seinen Vater erinnern würde…

Seltsamerweise habe ich die intensivsten Kontakte zu Frauen an dem Morgen, als ich schliesslich beschliesse abzureisen. Es ist der Tag, wo wir eingeladen sind wortlos zu kommunizieren. Vielleicht liegt es daran, dass ich Stärken habe in der Körper- und Lautsprache (weil sie den Verstand aushebelt und irgenwie direkter und unzensierter rüberkommt) und zum andern vielleicht weil ich ein Schisser bin, der sich dann traut in intensiveren Kontakt zu gehen, wenn nichts draus werden kann, weil ich quasi schon weg bin. Schade eigentlich – die lange Umarmung mit der jungen Amerikanerin asiatischen Ursprungs war schon sehr innig und wohlig kribbelnd…..

Beim Verabschieden merke ich, dass mir einige ziemlich ans Herz gewachsen sind und ich erfahre auch noch mal ganz viel Wertschätzung von deren Seite. Ich glaube ich habe viele der jüngeren durch mein Beispiel ermutigt, dass man auch im mittleren Alter noch sämtliche Möglichkeiten hat sich für ein freies und selbstbestimmtes Leben zu entscheiden und die ganze Bandbreite zwischen beruflichem Erfolg und Hippy-Aussteiger ausschöpfen kann – mit viel Abenteuerlust, Humor und Entdeckerfreude!

 

Ich glaube, Weg ist es zwischen den Welten und Kulturen zu wandeln und Gegensätze zugunsten von gegenseitiger Inspiration aufzulösen.


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