Merimbula

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Nach einem Tag in Melbourne setze ich mich am nächsten Morgen um kurz nach 7 in den Zug Richtung Osten. Das frühe Aufstehen ist nicht so ganz einfach, weil mir noch 4 Stunden Zeitverschiebung von Thailand in den Knochen stecken. Ausserdem bin ich in einem Hostel mit Schlafsaal und es ist mir etwas peinlich die anderen unvermeidlicher Weise zu dieser nachtschlafenden Zeit stören zu müssen.

Aber ich schaffe es pünktlich zum Bahnhof zu kommen, so pünktlich, dass ich mir noch einen Capuccino und ein Croissant &to go& besorgen kann und es mir damit im Zug bequem zu machen. Ich komme mit meiner netten und attraktiven Sitznachbarin ins Gespräch. Ihre Eltern stammen aus Kambodscha, sie ist allerdings in Australien aufgewachsen. Eine Beispiel für die multikulturelle Mischung in Australien, vor allem Melbourne ist für sein weltoffenes Vielvölkergemisch bekannt. Auch wenn es ganz zu Beginn mal britische Sträflinge waren, die diesen Kontinent bevölkerten, so kamen in Melbourne dann viele Griechen und Italiener dazu und in den letzten Jahrzehnten auch eine Menge Asiaten. Und die Aborigenes sind ja ohnehin schon seit vielen Tausenden von Jahren dort, neulich erzählte mir sogar jemand von einer These, dass die Wiege der Menschheit nicht in Afrika, sondern in Australien gestanden habe. Geologisch gesehen ist Australien jedenfalls offenbar ein sehr alter Kontinent, so sich die Berge mit der Zeit schon wieder abgetragen haben, so dass die höchtsten Erhebungen nur etwas über 2000 m hoch sind. Ganz anders im benachbarten Neuseeland, wo sich die Berge höher auffalten und auch immer mal wieder durch Erdbeben in Bewegung sind.

Der Eindruck, dass Australien doch so ähnlich wie Europa ist, schwindet schnell, als wir nach einer Weile die Vororte von Melbourne hinter uns lassen und stundenlang durch unendliche Weiten fahren. Wälder, Wälder, Wälder, Wiesen , Wälder,….. (die Australier nennen das &the bush&) und ganz vereinzelt mal eine verschlafene Ortschaft. Aber nicht wie in Deutschland alle 3-5 km, sondern eher alle 50 – 100 km. Und dazwischen einfach nur Natur, wild und überwiegend ungezähmt. Zumindest sieht es für meine laienhaften Augen so aus. Es gibt natürlich auch noch die zahlreichen Nationalparks, wo gar nicht in die Natur eingegriffen wird. In Deutschland ist über 90 % Kulturland und nur ein kleiner Prozentsatz wilde Natur. In Australien ist das Verhältnis umgekehrt. Und man bedenke, dass ich mich in den Bundesstaaten Victoria und New South Wales bewege, die noch am dichtesten besiedelt sind…

Nach ca. 4 Stunden endet die Bahnlinie in einem verschlafenen Nest names Bairnsdale und es geht per Bus weiter. Nach ein paar weiteren Stunden ist die Grenze zu New South Wales erreicht, aber die Landschaft bleibt im Inland relativ gleichförmig. Eukalyptuswälder so weit das Auge reicht. Das müsste eigentlich die Koalabären freuen (die Vorbilder der Teddies), da sie sich hauptsächlich davon ernähren, aber sie sind leider so selten geworden, dass die Leute ganz fasziniert ihre Autos mitten auf der Strasse stehen lassen, wenn sich mal welche in den Bäumen zeigen. Ganz anders mit den Kängurus. Auf einem Campingplatz sehe ich einige Tage später in der Abenddämmerung eine Gruppe von mindestens 20 grasenden Kängurus und bin vollkommen begeistert. Aber keiner der Einheimischen würdigt sie auch nur eines Blickes – scheint Unmengen dieser neugierigen und zutraulichen Hüpfer zu geben…

Ich bin im Bus ziemlich müde. Der wenige Schlaf und die Zeitverschiebung machen sich bemerkbar. Und so beschränken sich die Gespräche mit meiner Nachbarin auf ein bischen small talk. Als wie eine halbe Stunde vor Merimbula sind, kommen wir jedoch näher ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass sie gerade ein ökologisches Gemeinschaftsprojekt mitgegründet hat. Da werde ich hellhörig und bin sofort wieder richtig wach. Und auf einmal reicht die Zeit nicht mehr um all unsere Erfahrungen mit solchen Gründungen auszutauschen, denn ich war ja in Deutschland die letzten 10 Jahre immer wieder in Gründungsphasen von derartigen Projekten beteiligt und ein Teil meiner Reisemotivation besteht darin mir Gemeinschaften in verschiedenen Teilen der Welt anzusehen und Erfahrungen auszutauschen. Und nun wird mir so eine Gelegenheit quasi am 2. Tag  in Australien &zufällig& im Bus serviert. Und es stellt sich heraus dass ihre Gemeinschaft in Bega ist – und das ist &zufällig& der Ort, an dem mein Bruder einen Ausweichcampingplatz gebucht hat, weil an der Küste alles ausgebucht war. Ich steige in Merimbula aus, wo mich mein Bruder erwartet, der bereits seit Mitte November per Campervan in Australien unterwegs ist. Er ist bereits das vierte Mal in Australien. Viel habe ich mich mit meinem 8 Jahre älteren Bruder nicht gemeinsam, aber die Leidenschaft fürs ausgedehnte Reisen in ferne Länder teilen wir. Und da meine neue Bekanntschaft weiter nach Bega fährt und ich aber bereits aus dem Bus aussteige, fällt die Begrüssung meines Bruders und der Austausch der Kontaktdaten mit Mel zusammen. Weder Mel noch ich haben etwas zu schreiben dabei und mein Smartphone hat sich mit leerer Batterie verabschiedet. Aber zum Glück kann mein Bruder Günter mit seinem iphone einspringen..

Es ist Silvester und um 17 Uhr kommen wir am Campingplatz in Bega an. Alles andere als spektakulär, an einer Strasse gelegen die sich durch leicht hügeliges Weideland zieht. Bega ist bekannt für seine Milchprodukte…. Hier liegt der Hund begraben. Und das an Silvester? Da würde ich doch gerne ein wenig die Sau raus lassen. Mel hat mir da wenig Hoffnung gemacht, so was in Bega zu finden. Und was hat mein Bruder geplant? NICHTS! D.h. stimmt nicht ganz: Er hat hervorragend eingekauft. Es gibt Rindersteak, Salat und ziemlich brauchbares kühles Bier. Ich versuche ihn zu überreden nach Merimbula zur Strandparty zu fahren und ein wenig zu feiern. Aber so richtig begeistert ist er nicht. Als ich anbiete an dem Abend auf das Bier zu verzichten und das Fahren zu übernehmen ist er dabei. Uff, geschafft – der Abend ist gerettet! Aber auf was habe ich mich da eingelassen? Ein ziemlich breites Campingmobil im Linksverkehr zu steuern, und dann auch noch nachts??? Nun, man wächst ja bekanntlich an seinen Herausforderungen. Und wenn man so gestrickt ist wie ich, dann macht das sogar Spaß…. Wir kommen also heil auf dem Festgelände in Merimbula an. Gegen 21 Uhr wird es gerade mal so langsam dunkel. Ich liebe diese Hochsommerabende Ende Dezember!

Eine Band spielt und es sind einige Hundert Leute auf der Wiese versammelt. Überwiegend Familien. Ich hole mir erst mal einen grossen extrastarken Capuccino und während ich noch darauf warte geht das Feuerwerkt los, nein nicht das um Mitternacht, sondern hier gibt es bereits um 21:30 Uhr ein Feuerwerk – ganz familienfreundlich quasi…

Danach gehen die Hälfte der Leute und ein paar neue kommen hinzu. Es sind weniger kleine Kinder da. Und die Band vorne gibt richtig Gas. Gute tanzbare Rockmusik. Mich drängt es nach vorne und sogar mein Bruderherz kommt mit auf die Tanzfläche. Er scheint auch Gefallen daran zu finden….. Und es gibt einige Mädels, die ich mit Erfolg antanze und es entstehen ein paar schöne Duos – oder sogar Trios, denn auch mein Bruder ist ansatzweise mit dabei, weiss aber offenbar nicht so richtig, was er mit einer Frau anfangen soll, die auf ihn zutanzt. (Hier sei nebenbei bemerkt, dass er nicht etwa schwul ist, aber entschieden hat lieber alleine durchs Leben zu ziehen).

Günter hat einen leckeren Sekt besorgt, den wir schon um halb zwölf aufmachen. Wäre ja schade, wenn er so warm wird… Aber immerhin haben wir um zwölf noch etwas um gemeinsam anzustossen und ein wirklich schönes Feuerwerk zu bestaunen. Und dann ist es überraschenderweise so, dass nach dem Feuerwerk nicht etwa die Band noch mal richtig Gas gibt, sondern dass alle nach Hause strömen. Um 00:30 Uhr an Neujahr ist Schicht im Schacht – und das in einer angenehmen Sommernacht? Nanu???? Als ich am nächsten Tag Mel frage, was denn da los gewesen sei, schaut sie mich fragend an. Anscheinend ist das hier ganz normal, das man nach Mitternacht brav nach Hause geht…

Ich schaffe es auch noch den Campervan im Dunkeln mit zweit Bechern Sekt intus sicher zum 30 min entfernten Campingplatz zu steuern, bin aber froh, dass die Polizeikontrolle am Ortsausgang gerade mit anderen beschäftigt ist und uns nicht anhält. In Australien gibt es auch eine 0,5 Promille-Grenze und ich bin froh, dass ich nicht den Test machen muss, ob ich da schon drüber bin…..

Am Neujahrstag machen Günter und ich einen netten Ausflug zu abgelegenen Stränden. Beeindruckend diese Weite und die wenigen Menschen – und das zur Hauptferienzeit! Wunderschöne Küstenlandschaften.

Ich versuche Mel zu erreichen und sie hat es inzwischen auch unter der Campingplatz-Telefonnummer versucht. Erst am Abend erreichen wir uns und sie sagt sie hätte erst am nächsten Tag abends Zeit. Schade, denn dann wollten Günter und ich schon weiter gezogen sein. Aber wir plaudern noch ein wenig am Telefon – ich will einfach noch ein wenig über ihr Projekt erfahren. Und es wird dann ein richtig langes und intensives Gespräch, vor allem als wir zu meinem Lieblingsthema &Kommunikation und Entscheidungsfindung& kommen (Der Titel meiner Haupt-Arbeitsgemeinschaft in meinem letzten Ökoprojekt). Und es entsteht ein netter und persönlicher Kontakt. Und dann tut sich für den nächsten Tag doch noch tagsüber eine Lücke auf. Gegen Mittag bringt sie ihre Tochter zu ihrem Vater und danach kann sie sich freischaufeln. Ich bespreche das kurz mit Günter, und er erklärt sich unter der Bedingung einverstanden, dass wir uns nicht in Bega, sondern 20 min weiter unten Strand treffen, damit wir nicht eine Totzeit zwischen Auschecken am Campingplatz und dem Treffen haben. Mel ist einverstanden und wir machen für den nächsten Tag für 12:30 Uhr ein Treffen aus. Lektion: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg!

Das Treffen am nächste Tag ist richtig schön. Es entsteht ein richtig warmer und herzlicher Draht zwischen Mel und mir und es tut mir etwas leid, dass Günter dabei etwas aussen vor ist. Ab und zu bringt er sich in unser angeregtes Gespräch ein,  aber so richtig andocken kann er nicht.

Wir gehen noch etwas essen bei einem Aussichtscafe in Laufentfernung, das Mel vorschlägt. Und es ist ein wahrer Genuss dort zu essen zu trinken und miteinander im Kontakt zu sein. Und dann ist es schon späterer Nachmittag und es wird Zeit für Günter und mich aufzubrechen. Schade eigentlich: Die Umarmung mit Mel zum Abschied ist richtig innig und während des Gesprächs hatte ich auch immer mal wieder den Impuls sie zu berühren. Das habe ich mir allerdings etwas verkniffen, da wir nicht zu zweit waren.  Ich schwärme ihr von meiner Wasserarbeit vor und sie hört sehr begeistert zu und fragt mich sogar, ob ich einen Kurs anbieten würde, wenn sie einen Pool und ein paar Leute zusammen bekäme. Wenn ich alleine unterwegs gewesen wäre, dann wäre ich vermutlich einfach ein paar Tage dort geblieben….

Aber so bleibt es bei dieser schönen einmaligen Begegnung und noch ein paar E-Mails. Und es freut mich zu lesen, dass sie während des Gesprächs auch diesen Berührungsimpuls hatte…

 


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